Reise in den Augenblick

Von Tanis Helliwell
Vor einigen Jahren war ich einen Monat lang in einem Retreat und ich dachte, dass es hilfreich wäre, euch an dem Prozess, den ich durchlief, teilhaben zu lassen, auch wenn der Prozess heute nicht der gleiche wäre.
Die ersten zwei Wochen des Seins
Zu Beginn meines Retreats vor einem Monat wollte meine Persönlichkeit gemütlich herumliegen, Schokolade essen und viel schlafen, und meine Seele wollte meditieren und spirituelle Bücher lesen. Ich beschloss, anstatt mir die Erfüllung irgendeines dieser Bedürfnisse zu versagen, sowohl meiner Persönlichkeit als auch meiner Seele Nahrung zu geben. Ich habe herausgefunden, wenn ich möchte, dass meine Persönlichkeit mit meiner Seele zusammenarbeitet, dann muss ich sie bestechen, ihr schmeicheln und sie aufheitern, und zwar auf eine Art, die sich nicht ungünstig auf meine spirituelle Praxis auswirkt. In meinem Engagement für meinen Dienst in der Welt habe ich meine Persönlichkeit über viele Jahre hinweg auf einem sehr disziplinierten Pfad gehalten, und es war nötig, sie jetzt zu füttern und wiederherzustellen, um mir auch weiterhin ihre Mitarbeit an den Projekten meiner Seele sicher zu stellen.
An einem typischen Tag stand ich zwischen 2:30 und 3:30 Uhr in der Früh auf, um in meinem Ofen Holz nachzulegen. Danach ging ich für gewöhnlich noch einmal ins Bett, um weiterzuträumen, und stand dann zwischen 5:00 und 6:00 Uhr wieder auf. Und da ich nach der Zeit der Natur und nicht einer Uhr lebte, meditierte ich im Dunkeln und in der Stille. Wie wunderbar ist die Sonne, kurz bevor sie aufgeht – und ich war hier, um das zu genießen. Während der ersten zwei Wochen meines Retreats regnete es täglich und dennoch gab es einige der atemberaubendsten Sonnenaufgänge, die sich hinzogen und hinzogen und hinzogen. Manchmal ging das über einen Zeitraum von anderthalb Stunden, und ich pflegte vor dem Fenster zu sitzen und erlaubte der Schönheit, in mir zu explodieren, da ich mir keine Sorgen darüber machen musste, mich für die Arbeit oder überhaupt für irgendetwas fertig zu machen. Das ist das Geschenk des Verbleibens im gegenwärtigen Augenblick.
Ich lebte nun schon seit 8 Monaten am Ozean und habe mir vor dem jetzigen Moment noch nie die Zeit genommen, um die Fülle des Lebens in meiner kleinen Bucht zu beobachten. So habe ich mich also jetzt mit diesem Geschenk der unendlichen Zeit noch ungefähr eine weitere Stunde hingesetzt, um alle meine Vögel in meinem Vogelbuch zu identifizieren (dieses Buch besitze ich seit 10 Jahren, ohne es jemals geöffnet zu haben) und die neugierige Robbe zu beobachten, die sich anscheinend meine Bucht als ihr Zuhause ausgesucht hat.
Inzwischen war ich kurz vor dem Verhungern, also ging ich für gewöhnlich daran, etwas Haferflocken zu essen, meine Träume der vergangenen Nacht aufzuschreiben und herauszufinden, in welche Richtung ich entsprechend diesen Träumen in meinem wachen Leben gehen sollte. Die Botschaft war normalerweise: Bleibe in dem Prozess, völlig im Augenblick zu leben und genau, und ich meine genau, das zu tun, was du tun willst. Es war, als ob ich auf des Messers Schneide die Bedürfnisse meiner Persönlichkeit mit denen meiner Seele ausbalancierte. Meine Persönlichkeit hatte das Verlangen, in ihre Vergangenheit zurückzugehen und zwar von Anfang an bis zur Gegenwart. Ein Teil von mir hatte ‘im Tun’ mein Leben voll gelebt, aber ich hatte mir nicht die Zeit genommen, die ‘Bedeutung’ dieses Lebens in mein Bewusstsein zu integrieren. Es war, als ob ich an meinem Leben wie an einem wunderschönen Wandteppich weben würde, und ich hatte alle Farben und Muster zusammengewoben, aber ich war so beschäftigt mit dem Weben, dass ich nicht angehalten hatte, um die Schönheit des ganzen Werks zu betrachten. Damit ich verstehen konnte, wie alle Teile zusammenpassten und daraus ich als Ganzes entstünde, beschloss ich also, all die Fotos meiner Familiengeschichte und meines eigenen Lebens in Alben zusammenzustellen und mich hineinzufühlen, was diese Menschen und Zeiten für mich bedeutet hatten. „Dazu brauche ich wahrscheinlich einen oder höchstens zwei Tage“ hatte ich gedacht, als ich damit anfing. Dieses Projekt von einem oder zwei Tagen benötigte tatsächlich zwei Wochen. Sehr fruchtbare Wochen, möchte ich hinzufügen, und ich empfehle dieses Vorgehen auch für andere, die sich nicht die Zeit genommen haben, den Anschluss zu finden an das Leben, das sie gelebt haben.
Mittlerweile hatte ich wieder Hunger bekommen, und so pflegte ich mir etwas zu essen zu machen, vielleicht einen Salat und meine liebsten Plätzchen aus meiner Kindheit, die ich zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder gebacken hatte, und dann ging’s auf zu meinem täglichen Spaziergang. Beim Verlassen meiner Einfahrt traf ich dann für gewöhnlich Sam, den neun Monate alten Hund meines Nachbarn, der mich mit einem großen Lächeln auf seinem Gesicht begrüßte, dabei wie verrückt mit dem Schwanz wedelte und auf mein Zeichen wartete, das ihn einlud, mich zu begleiten. Die ersten zwei Wochen verbrachte ich schweigend, aber Hunde sind telepathisch und können mit Leichtigkeit erspüren, wie glücklich ich über ihre Gesellschaft bin; also machten wir uns gemeinsam auf, die Meeresklippen und den Wald zu erforschen.
Wenn ich danach heimkam, meditierte ich für gewöhnlich wieder, indem ich Lieder der Dankbarkeit sang, die mein Herz immer weiter öffneten, und wenn ich nur noch Schwingung und erfüllt von einem wunderbaren Gefühl war, dann würde sich plötzlich mein Verstand melden: „Füttere mich, füttere mich” pflegte er zu sagen. Vielleicht wisst ihr, dass der hauptsächliche Weg zur Bewusstheit, der Weg, den die meisten Menschen nehmen, über das offene Herz führt. Das ist der Pfad der Liebe, der in Indien Bhakti genannt wird. Jedoch gibt es ein paar Menschen, die den Weg des Verstandes wählen, und einige andere reisen auf dem Pfad des Herzens und des Verstandes. Ich befinde mich in dieser letzteren Gruppe. Ich habe die Glückseligkeit des Herzens bei mehr als einer Gelegenheit erfahren. Der Strom der Freude ist ein alter Freund, der nur darauf wartet, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit schenke und der dann, wenn er einmal heran gewunken wird, sich auf mich stürzt. Über viele Jahre hinweg habe ich ihn selten zu mir gerufen, da die Gefahr besteht - vielleicht schwer zu glauben, aber dennoch wahr - dass man berauscht wird vor Glückseligkeit. Außerdem kann einem die Glückseligkeit, die man in der Natur und/oder in Gott erfährt, so viel Befriedigung geben, dass man nicht mehr wirklich in dieser Welt verbleiben möchte; genauso kann es sein, dass man nicht mehr über diese Stufe der Glückseligkeit zur nächsten Ebene des Bewusstseins hinausgehen will.
Entweder kann man den Pfad des Verstandes - welcher von weniger Menschen genommen wird - als seinen vorrangigen Weg zum Erwachen auswählen oder man steuert ihn erst in zweiter Linie an, nachdem man sein Herz erweckt hat. Es gibt einen ausführlichen Leitfaden zum Thema Erwachen über den Verstand, der von Franklin Merrell-Wolff geschrieben wurde. In diesem Buch unter dem Titel Pathways Through to Space führt Dr. Merrell-Wolff den Leser Schritt für Schritt durch seine eigene Reise ins Erwachen. Ich hatte das Glück, Dr. Merrell-Wolff vor über 20 Jahren, kurz vor seinem Tode, zu begegnen und ich konstatiere zweifelsfrei, dass er ein Erleuchteter war, dessen bloße Gegenwart einen in einen höheren spirituellen Zustand katapultierte. Diese Avatare sind in der westlichen Welt selten, denn die meisten erleuchteten Wesen finden sich im Osten und sie sind den Weg des Herzens gegangen. Vielleicht werde ich in einer anderen Kolumne mehr über die verschiedenen Wege zum Erwachen schreiben, aber für den Moment will ich zu meinem persönlichen Bericht zurückkehren.
Zwei Wochen lang las ich Dr. Merrell-Wolffs Buch noch einmal ausführlich und entdeckte, dass ich sehr viel besser als vor zwanzig Jahren verstand, worüber er schreibt. Es ist ein geistiges Gesetz, dass unser Verständnis nur bis zur Ebene unserer eigenen Entwicklung reicht. Intellektuelle “Aha-Erlebnisse“ waren für mich immer mentale Momente der Glückseligkeit. Glückseligkeit durch Erwecken des Geistes zu finden, ist für mich eine ebensolche Befriedigung, wie die Glückseligkeit über das Herz zu erfahren; Menschen, die ihre Bewusstseinsreise sowohl über das Herz als auch über den Verstand unternehmen, kennen dieses Gefühl. Und somit vergingen meine zwei Wochen in Freude und Frieden.
Der Absturz
Eines Tages kam die Sonne heraus und ich ertappte mich dabei, wie ich traurig wurde, als ob die Sonne mich aus meinem Retreat heraus- und wieder zurück in die Welt riefe. Also steckte ich mein Telefon wieder ein und schaltete den Computer an, um Nachrichten abzuhören und nach e-mails zu sehen. Es gelang mir erfolgreich, während der Beantwortung der Nachrichten meinen friedlichen inneren Zustand aufrechtzuerhalten. Dadurch ermutigt, beschloss ich, einen Entwurf für das Männer-Retreat vorzubereiten, das ich im September in meinem Haus durchführen möchte und auf das ich mich schon freue. Im Zuge dieser Vorbereitung entdeckte ich, dass ich Bed & Breakfast – Unterkünfte in der Nähe aufsuchen musste, um die Frage der Unterbringung in die Wege zu leiten. Ich fühlte mich zwar noch ein wenig zerbrechlich, wenn ich daran dachte, wieder mit Leuten in Kontakt treten zu müssen, nichtsdestotrotz fuhr ich unbeirrt mit meinem Vorhaben fort, bekam alles geregelt und zog mich danach schnell in mein Haus zurück, um mich von dem Kontakt zu erholen.
Ich kehrte zu meiner Formel für Frieden aus den vorangegangenen zwei Wochen zurück. Meditieren…….in der Natur spazieren gehen…….In einem relativ friedlichen Gefühl und wieder im Gleichgewicht mit mir ging ich zur Bank, kaufte Lebensmittel ein und hieß eine Freundin zum Wochenende willkommen. Meine Freundin geht durch einen ähnlichen Prozess wie ich und wir hatten uns verpflichtet, die Reise der jeweils anderen zu unterstützen und sicherzustellen, dass wir nicht vom Weg abkommen. Der erste Tag unserer gemeinsamen Zeit lief gut. Wir waren in der Lage, uns gegenseitig Erhellendes über unsere jeweilige Reise mitzuteilen, zusammen an der Gartenverschönerung zu arbeiten und mit Sam spazieren zu gehen. Dann, am zweiten Tag hatten wir die kluge Idee, dass es doch nett wäre, finanziell unabhängig zu sein, damit wir nicht auf die Unterstützung von irgendjemandem angewiesen wären und damit wir genau das tun könnten, was wir wollten. Da Immobilien dort, wo ich lebe, jedes Jahr um ungefähr 20 bis 30 % teurer werden, beschlossen wir, dass wir gemeinsam für sehr wenig Geld ein kleines Haus kaufen könnten und dass unsere Hypothek durch die Miete bezahlt würde. Also zogen wir los und schauten uns Immobilien an - und am Ende des Tages hatte ich furchtbare Magenschmerzen und die Freundin hatte eine Migräne.
Nur zur Klarstellung: diese Idee, Immobilien zu kaufen, ist, davon bin ich überzeugt, vom finanziellen Standpunkt aus gesehen eine großartige Idee, jedoch unsere Körper hatten eine toxische Reaktion auf dieses Vorhaben. Wir haben eine Menge von unserem Sturz aus dem Frieden gelernt. Erstens, dass selbst dann, wenn es viele gute Gründe für ein bestimmtes Vorgehen gibt, es dennoch das Falsche sein kann. Zweitens, dass keine von uns beiden noch länger daran glaubte, wir müssten an irgendetwas arbeiten oder müssten irgendetwas werden. Stattdessen war es nötig, freudig zu leben, genauso wie es Kinder tun, und für alle Zeit die Vorstellung aufzugeben, dass wir uns in dieser Welt ‘unser Dasein verdienen’ müssten, sondern zu akzeptieren, dass wir einfach so, wie wir sind, genügen, um all das, was für uns richtig ist, in unser Leben zu ziehen. In der Theorie ist das natürlich großartig, und ich glaube an diese Theorie und habe sie auch seit vielen Jahren ‘teilweise’ gelebt - aber dies tatsächlich zu leben und nur das, ist ein Schritt, der schwieriger ist. Er erfordert völliges Vertrauen, dass das Göttliche für uns sorgt, ohne Einschränkungen. Zusätzlich bedeutet die Entscheidung, auf diese Art und Weise zu leben und genau zu tun und zu sein, wie wir sind, ein Aufgeben unserer Vorstellung, wir müssten Fortschritte machen und besser werden. Ich will nicht leugnen, dass wir uns entwickeln und Fortschritte machen, was dem Glauben der Realität unserer dritten Dimension entspricht, sondern dass wir, auf einer höheren Ebene der Wahrheit, schon das sind, wonach wir streben. Wenn wir aus dieser höheren Wahrheit heraus leben, bestimmen wir selbst unser Leben und werden nicht von ihm bestimmt, und genau so habe ich mich entschieden zu leben.
Das Tun ins Sein integrieren
Am nächsten Tag brachte ich meine Freundin weg und als ich nach Hause kam, entdeckte ich eine Nachricht, dass ein Filmemacher mein Buch Elfensommer großartig fand und eine Dokumentation über Naturgeister machen wollte. Außerdem kam in ein paar Tagen Tenzin Choegyal, der 15.. Ngari Rinpoche und Bruder des Dalai Lama, nach Vancouver und ich war zusammen mit 20 anderen Leuten zu einem Treffen mit ihm eingeladen, um die momentane Situation von Tibet und China zu diskutieren. Oh, Prüfungen, Prüfungen, Prüfungen. Sie hören nie auf. Diese Dinge waren zweifellos wichtig, doch für mich ist es jetzt ganz entscheidend, dass ich aktiv darangehe, mein Leben auf die neue Art und Weise zu etablieren. Wie kann ich beides tun?
Also einigten wir uns, die Dokumentation über Naturgeister in drei Monaten zu machen. Ich habe Verpflichtungen zur Durchführung von Seminaren und muss bis dahin mein Retreat beendet haben. Ich hoffe nur, dass mein innerer Kalender mit meinem äußeren Kalender einverstanden ist. Auch habe ich zugestimmt, in ein paar Tagen nach Vancouver zu fahren, um an diesem Dialog mit Tenzin Choegyal teilzunehmen. In dieser Zeit wird mein Vorsatz darin bestehen, während ich mich noch in der Welt bewege, in meinem immer noch zerbrechlichen Seinszustand zu leben. Außerdem habe ich beschlossen, nach dem Vancouver-Aufenthalt zu weiteren zwei Wochen Stille und Rückzug zurückzukehren, da es sehr klar ist, dass ich mein neues Sein stärken muss, wenn ich in der Welt ganz auf diese neue Weise da sein will. Ich stelle fest, dass ich mir sicherer bin als noch vor einem Monat, und dass wir nie in der Lage sein werden, in Freude und Frieden zu leben, wenn wir nicht in der Lage sind, im gegenwärtigen Augenblick zu leben. Auch müssen wir vollkommen darauf vertrauen, dass wir genügen, einfach so wie wir sind, und erkennen, dass wir uns nicht bemühen müssen. Unser Bemühen führt uns nur weg von unserem Zentrum, von dem Ort, an dem unsere Einheit mit ALLEM, mit dem Göttlichen, wohnt.
Tanis Helliwell, als eine Mystikerin in der modernen Welt, bringt seit über 30 Jahren spirituelles Bewusstsein in die Mainstream-Gesellschaft. Seit ihrer Kindheit sieht und hört sie in höheren Dimensionen Elementarwesen, Engel und Meisterlehrer. Tanis ist die Gründerin des International Institute for Transformation (IIT), das Programme anbietet, um Menschen darin zu unterstützen, zu bewussten Schöpferinnen und Schöpfern zu werden, die in der Lage sind, mit den unsere Welt regierenden geistigen Gesetzen zu arbeiten.
Tanis ist die Autorin von Die Hohen Wesen von Hawaii, Elfensommer, Elfenreise, Umarmt von der Liebe, Mit der Seele arbeiten, Nicht ganz von dieser Welt, und Erkenne deine Bestimmung.
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